Tempel Salomos

Tempel Salomos
Tempel Salomos
 
Man kann davon ausgehen, dass Salomos Palastbauten und der Tempel in einem ummauerten Bezirk standen und eine Art Akropolis (Burg) bildeten. Der Tempel war damit zuallererst königliches Heiligtum und eine Art Palastkapelle. Dies entsprach altorientalischer Konzeption. Der Tempel legitimierte den König als Vertreter - »Sohn« - Jahwes; andererseits war der König zugleich oberster Priester und Schützer des Tempelkultes. Das bedeutete einen Bruch mit der Tradition der vorstaatlichen Zeit, in der Jahwe als gemeinsamer Gott der Stämmegesellschaft ein »Volksgott« war und sich gerade dadurch von den kanaanäischen, ägyptischen und mesopotamischen Göttern unterschied. Gewiss blieb Jahwe auch weiterhin »Volksgott«, insofern bis über die Mitte der Königszeit hinaus die großen Erntefeste (Mazzen-Passahfest, das Wochenfest Schawuot, das Laubhüttenfest Sukkot) und der familiäre Opferkult an den offenen Heiligtümern im Land stattfanden. Dennoch: Von seiner Einbindung in den königlichen Palast her und durch seine Architektur markierte der Tempel einen gewissen Bruch mit den Ursprungstraditionen Israels. Andererseits begünstigte der Jerusalemer Tempel Jahwes »Aufstieg« zum einzigen Gott und bedeutete eine wichtige Weichenstellung auf dem Weg zum Monotheismus, zumal die mit dem Jerusalemer Tempel verbundenen Vorstellungen das Gottesdenken Israels stark inspiriert haben und Jerusalem in einzigartiger Weise zur »Gottesstadt« werden ließen; bezog sich doch auf den Tempel die Vorstellung, er sei Thron des Schöpfergottes, der Ort, an dem sich Himmel und Erde berühren, und der kosmische Weltberg, an dem das Chaos zerschellt und von wo aus der universale Friede anbricht.
 
Das Tempelgebäude erhob sich entgegen der seit dem frühen Mittelalter lebendigen christlichen und islamischen Tradition nicht über dem Felsen, den die Rotunde des Felsendoms umgibt; der Fels wäre für das Allerheiligste (das Debir) zu groß; außerdem sind bei den Reparaturarbeiten am Felsendom 1958/59 keinerlei ältere Bauspuren unter den Fundamenten sichtbar geworden. Vielmehr stand er wohl nordwestlich davon und war durch Umbau eines der Sonnengottheit Schemesch geweihten Heiligtums entstanden. Der Überlieferung zufolge (1. Könige 6,2f.) war es ein Langhaustempel mit offener Vorhalle, also ein Antentempel. Das Tempelinnere selbst war noch einmal in den Hauptraum (Antecella) und das Allerheiligste (Cella) unterteilt, wobei das Allerheiligste wahrscheinlich ein mit Goldblech ausgeschlagener Holzschrein war, in dem sich der Cherubenthron aus goldüberzogenem Ölbaumholz mit der (später so genannten Bundes-)Lade als einer Art »Thronschemel« für den unsichtbar auf dem Thron gegenwärtig gedachten Jahwe befand. Das Tempelinnere hatte eine Fläche von 20 × 40 Ellen (Antecella) und 20 × 20 Ellen (Cella); als Mauerhöhe gibt das 1. Buch der Könige (6,23) 30 Ellen an. Das im Vergleich mit ägyptischen Tempeln und christlichen Kathedralen in seinen Ausmaßen bescheidene Tempelgebäude, dessen Areal durch Umbauten noch etwas größer war, folgt in seiner dreiteiligen Anlage (Vorhalle, Antecella, Cella) der nordsyrischen Tempelbautradition.
 
Damit würde gut die biblische Tradition zusammenpassen, dass Salomo beim Tempelbau phönikische Architekten und Künstler eingesetzt habe. Die im 1. Buch der Könige (7,13-50) gegebene Beschreibung der Innenausstattung des Tempels stellt ihn als einen Prunkbau dar. Die Wände waren mit Zedernholz verschalt; die Türrahmen und die Flügeltüren waren aus Zypressenholz und einer weiteren (für uns nicht identifizierbaren) Holzart gearbeitet. Wände und Türen waren mit Schnitzwerk überzogen und zum Teil mit Blattgold ausgelegt. Die im biblischen Text genannten Bildmotive entsprechen den Bildelementen, die wir aus der Siegel- und Elfenbeinkunst des phönikisch-palästinischen Raums der Epoche kennen: Sphingen/Cheruben, Palmetten und Lotus. Diese Bildmotive der Antecella müssen mit dem in der Cella stehenden Cherubenthron zusammen als Symbole des Tempelgottes verstanden werden. Der unsichtbar auf seinem Gottesthron im Tempel gegenwärtige Gottkönig Jahwe gewährt von hier aus die Grundlage für alles Leben: Er gibt den Tieren und den Menschen Nahrung (Palmbaum und Lotus als Baum beziehungsweise Blüte des Lebens) und Lebensschutz (Cheruben als Wächter des Lebens).
 
Vermutlich haben auch die in der Vorhalle, am Eingang des Tempelgebäudes stehenden Säulen - sie tragen die rätselhaften Namen Jachin und Boas - mit ihren Pflanzenkapitellen ebenso eine schöpfungstheologische Bedeutung wie die zehn Kesselwagen vor dem Tempelgebäude - fahrbare rechteckige Bronzegestelle und Bronzebecken, mit Wasser gefüllt - und das »Eherne Meer«. Zumindest letzteres dürfte kaum für kultpraktische Zwecke verwendet worden sein, sondern Sinnbild für die gebändigte chaotische Urflut sein, die nun als Quelle des Lebens am Tempel gegenwärtig war beziehungsweise von ihm ausging. Das »Eherne Meer« war ein riesiges Wasserbecken (5 m Durchmesser; 2,5 m Höhe), das die Form einer Lotusblüte hatte und auf zwölf ehernen Stieren aufruhte. Die sich morgens öffnende und abends wieder geschlossen ins Wasser versinkende Lotusblüte war von ägyptischer Tradition her Symbol für Schöpfung und Regeneration. Die Stiere sind von kanaanäischer Tradition her Symboltiere des kämpferischen Wettergottes. Das »Eherne Meer« war von daher auch ein besonders aussagekräftiges Symbol des Lebenswassers; auch die biblische Schöpfungsgeschichte spielt auf das Lebenswasser an (1. Mose 2,6); vermutlich greift die Vision des Propheten Ezechiel von der eschatologischen Tempelquelle (Ezechiel 47) diese Vorstellung ebenfalls auf. Dass der große Bronzealtar für die Brandopfer auf dem freien Platz vor dem Tempelgebäude stand, war nicht nur deshalb notwendig, weil die Brandopfer starken Rauch entwickelten - die Opfertiere wurden unter Beimischung von Weihrauch verbrannt -, es entsprach auch der Tempel- und Kultkonzeption: Das Tempelgebäude, das nur der König und die Priester betraten, war Wohnort Gottes; die Liturgie - Opfer, Prozessionen und Gesang, Belehrung des Volkes - fand im Tempelhof statt. Wahrscheinlich gab es bereits im salomonischen Tempelhof mehrere Opferaltäre für die zahlreichen Opfer; auf keinen Fall dürfte ein einziger Opferaltar ausgereicht haben, als seit König Hiskia der Jerusalemer Tempel zur alleinigen Opferstätte und zum zentralen Wallfahrtsort des Staates Juda wurde.
 
Prof. Dr. Erich Zenger

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Tempel (Jerusalem) — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel des Salomon — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel des Solomon — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel in Jerusalem — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel von Jerusalem — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Tempel — Gotteshaus; Kirche; Gebetshaus; Andachtsgebäude * * * Tem|pel [ tɛmpl̩], der; s, : [geweihtes] Gebäude als Kultstätte einer nicht christlichen Glaubensgemeinschaft: ein heidnischer, antiker, prächtiger, verfallener Tempel; ein Tempel der Artemis …   Universal-Lexikon

  • Tempel — (vom lat. templum, Abschnitt, Bezirk, woher das frz. u. engl. temple), hießen die Alten einen geweihten Ort überhaupt, mochte derselbe lediglich durch Worte bezeichnet oder eingezäunt sein, dann auch die zur Beobachtung von Augurien und Auspicien …   Herders Conversations-Lexikon

  • 2. Tempel — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Israelitische Tempel — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

  • Israelitischer Tempel — Die Artikel Herodianischer Tempel und Israelitischer Tempel überschneiden sich thematisch. Hilf mit, die Artikel besser voneinander abzugrenzen oder zu vereinigen. Beteilige dich dazu an der Diskussion über diese Überschneidungen. Bitte entferne… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”